Athen Marathon 2010

Lange vor dem Marathon
Es war ein eiskalter Wintertag, der 24 Februar 2010. Noch weit nach 20.00 Uhr brannten die Lichter im Ärztezimmer der radiologischen Abteilung des Krankenhauses. Nach einer endlos lang erscheinenden Untersuchung wartete ich äußerst nervös auf mein „Urteil.“ Obwohl es noch nicht ausgesprochen war, ahnte ich alles Böse der Welt. Und ich sollte mich nicht irren.
„Sie haben großes Glück im Unglück“, waren die Begrüßungsworte des Mannes in Weiß. „Wir haben eine Lungenembolie bei Ihnen entdeckt. Sie scheint aber schon ein paar Tage alt zu sein, und daher sind die Überlebenschancen bei Ihnen sehr gut“, fuhr er fort.
Meine Frage: „und wie sieht das später wieder mit dem Laufen auf?“ schmetterte der über meinen Sorgen leicht irritierte Doc kurz mit den Worten „sind Sie froh, wenn Sie jemals wieder wandern können!“, niederschmetternd ab.
Wenige Tage später buche ich trotzig den Athen Marathon.

Sie werden sich nun fragen, was hat das alles mit dem Marathon von Athen zu tun?


Ganz einfach. Exakt 250 Tage später stehe ich 2000 Kilometer von der Heimat entfernt am Ursprungs Ort des Marathons. Und das nicht zum wandern, sondern zum laufen.
Die letzten Tage und Wochen vor dem Start waren ziemlich nervenaufreibend. Nahezu perfekt verschleierte ich meiner Familie und sogar den besten Freunden meinen wahren Seelenzustand. Mut und Glauben standen in großer Aggressivität Angst und Selbstzweifel gegenüber. Und obwohl ich wie ein Verrückter trainiere, trat ich wochenlang auf der Stelle.
Während meine Füße schon längst wieder „flitzen“ wollen, bremsen mich Herz und Lunge immer wieder aus. Der erste Start bei einem 10 Kilometerlauf endete in einem Desaster. Zusammen mit anderen „Frührentnern“ trieb mich der Besenwagen ins Ziel. Da bei meinen Geschwindigkeiten Mitläufer zum frieren verurteilt waren, meidete ich fortan möglichst jedes Gruppentraining.

 

Auch die ärztliche Betreuung schraubte ich auf ein Minimum zurück, denn ich konnte keinerlei Funkeln mehr in den Augen meiner „Betreuer“ entdecken.
Ziemlich spät schien sich der Knoten doch noch zu lösen. Zwei lange Läufe und ein
Halbmarathon konnte ich letztendlich doch noch in mein Trainingsbuch eintragen.
Nicht sonderlich viel, für ein großes Ziel, aber der Himmel zeigte wieder ein bisschen Hoffnung.
Trotzdem brauchte ich am Freitag keinerlei Coffein im Kaffee, denn der Puls war zum bersten hoch als ich allein in das Flugzeug Richtung Athen stieg.

Der Flug Richtung Athen wurde zu einem richtigen Schauspiel. Das überqueren der Alpen, die Klüften der Karpaten und der Anflug auf die griechische Hauptstadt boten traumhafte Bilder.
Noch nie zuvor stand ich auf griechischen Boden. Und auch mein Bekanntenkreis weist kaum einen griechischen Bekannten auf. Entsprechend groß war meine Neugier auf das EU-Land, welches in den letzten Monaten für so viel politischen Wirbel sorgte.
Aber um es gleich vorwegzunehmen, alle Negativbilder, die man sich durch Erzählungen, lesen und Fernsehen so im Laufe der Zeit aufbaut, habe ich nicht gefunden. Einzig Sprache und vor allem die Schrift sind gewöhnungsbedürftig.


Wahrscheinlich leben im Großraum Athen etwa fünf Millionen Menschen. Da die Zahl der illegalen Einwanderer ist riesengroß ist, gibt es keine genauen Zahlen.
Dank der Olympischen Spiele 2004 verfügt Athen über eine gut funktioniertes Metronetz.
Während man damit unter der Erde ruckzuck von A nach B kommt, herrscht auf den Straßen ein regelmäßiges Chaos. Von der Platznot getrieben fahren hier auf zweispurigen Straßen auch mal 3 Autos nebeneinander. Und noch ein Kuriosum: Der Innenstadtbereich darf an 3 Tagen der Woche nur von Autos mit geraden Nummern befahren werden, an den anderen
Tagen sind die ungeraden an der Reihe. Der Samstag ist für alle frei.
Ein Hauch von Kultur und Antike findet man in der griechischen Hauptstadt nahezu an jeder Ecke. Will man aber richtig in die Geschichte Griechenlands eindringen, ist der Besuch der Akropolis eine Pflichtaufgabe.

Glaubt man den Erzählungen der Reiseführer entstanden an den Hängen dieses Berges die ersten Vorreiter zur heutigen Demokratie.
Und wäre der Lauf am Sonntag nicht immer wieder im Hinterkopf aufgetaucht, Athen wäre ein tolles Kulturwochenende geworden. Ja, der Lauf, der lag mir noch kräftig im Magen.

Der Lauf


Um 4:00 Uhr ist die Nacht zu Ende. Obwohl ich sieben Stunden im Bett war, habe ich nur wenig geschlafen. Außerdem ist es saukalt, denn irgendwann in der Nacht hat sich die Klimaanlage von alleine eingeschaltet. Frierend quäle ich mich in meine Laufklamotten und mache mich auf den Weg in den Frühstücksraum.

Die „Griechen“ hatten unsere Bitte nach einem anständigen Marathonfrühstück verstanden und bereits das volle Programm aufgebaut.
Wieder war ein Wackelkandidat abgehakt.
Nach dem Frühstück begehe ich den ersten Fehler des noch jungen Tages. Ohne vernünftigen Grund wechsle ich noch einmal meine Laufschuhe. Aber nun gibt kein zurück mehr. Mit der Metro fährt unsere Gruppe zu einer zentralen Abfahrtstelle für die Busse nach Marathon. Dort werden mir meine letzten großen Sorgen genommen. Perfekt organisiert wartet eine große Anzahl von Bussen auf ihre Laufgäste.

Anstelle eines beruhigten Nickerchens mache ich einen zweiten Fehler. Ich verfolge Meter für Meter die Strecke, über die ich mich in den nächsten Stunden in umgekehrter Richtung quälen würde. Mit jedem Kilometer wurde es mir wärmer ums Herz und alte Zweifel traten wieder auf. Zusammen mit der Sonne kam unser
Bus 45 Minuten später in Marathon an. Nun trennten uns „nur“ noch zwei lange Stunden vom Start des Athenmarathons.

Viele Läuferinnen und Läufer werden jetzt zu perfekten Schauspielern und täuschen Souveränität und Gelassenheit vor. Der Blick ins Innere, würde
wohl ganz andere Ergebnisse bringen.
Die Erlösung kommt kurz nach 9:00 Uhr. Der Startschuss schickt nahezu 11.000 Starter Richtung Athen los. Während in Deutschland düsteres Regenwetter herrscht zeigt das griechische Thermometer bereits 18° Grad an. Die Organisatoren des Marathons waren auf diese Situation aber bestens vorbereitet.

 

Alle 2,5 Kilometer hatte man für eine üppige Wasserversorgung gesorgt und auch Ärzte und Sanitäter in großer Anzahl entlang der Strecke postiert.
Der klassische Marathonlauf von Marathon nach Athen ist keine sonderlich schöne Strecke. Weder landschaftliche Höhenpunkte noch innerstädtische Sehenswürdigkeiten zeichnen ihn aus. Breite Straßen und heißes Asphalt sind die Merkmale dieses Laufes. Keine hohen Berge aber kilometerlange Anstiege zermürben die Beine. Nahezu schattenlos ziehen die Läufer an Tankstellen, Lidl`s und Aldis vorbei Richtung der Athener Innenstadt.

Wer seinen Lauf bis dorthin schadlos überstanden hat, kann es fortan lockerer angehen lassen. Denn die letzten 10 Kilometer gehen nur noch bergab.
Für mich persönlich liefen die ersten Kilometer unspektakulär. Solange wie möglich wollte ich einen 7er Schnitt laufen. Ein Traumziel wäre für mich eine Zeit unter 5 Stunden gewesen.
Nach meiner ersten echten „Fotoauszeit“ bei Kilometer 15 ( Der einzige Blick aufs Mehr) lag ich noch ziemlich gut im Plan. Als „Kind“ des Pfälzerwaldes wartete ich mit Spannung auf die kommenden Berge. Mein Vertrauen in die Bergfähigkeit meiner Beine wurde jedoch tiefst enttäuscht. Nach knapp vier Stunden erreichte ich ziemlich ausgepumpt den höchsten Punkt der Strecke bei Kilometer 31. Ab der Halbmarathonmarke machten sich die ersten Blasen bemerkbar. Das ist zwar sehr unangenehm, aber kein Grund die Waffen zu strecken. Die Füße sind ja ziemlich leidensfähig.
Obwohl meine Geschwindigkeit immer mehr sank, war ich nur noch auf der Überholspur. Ein seltenes Bild, aber nicht unangenehm. Immer mehr Läufer mussten wohl den Temperaturen Tribut zollen und belagerten in Scharen die Sanitätspunkte. Für kleinste Schattenstellen wechselte man inzwischen die andere Straßenseite und Wasserflaschen wurden in Duschen umfunktioniert. Dann war es endlich soweit.

Von einer Allee, an deren Straßenrand Tausende begeisterte Menschen standen, geht es ins Olympiastadion von Athen.
Feierlicher kann ein Einlauf nicht sein. Kein Spektakel mit Licht und Feuerwerk,
nur griechische Klänge spielen zum Einzug der „Läufergladiatoren.“ Die Zuschauer jubeln dem achttausendsten Einläufer genauso zu als wenn er der Sieger wäre.

 

Alles was der Körper noch an Flüssigkeit übrig hat, fließt nun in Form von Tränen aus den Augen. Es ist ein sehr ergreifender Moment über die Ziellinie dieses monumentalen Stadions zu laufen.
Bei den Olympischen Spielen 2004 wurde an gleicher Stelle um Gold, Silber und Bronze Medaillen gerungen. Trotz brennender Fußsolen feiere ich die 5:32 Std. wie ein Sieg. Was für ein Tag. Es war einer der Höhepunkt in meiner Marathonkarriere.

 

In großer Demut sage ich allen Danke die mir geholfen haben, dass ich nach schwerer Zeit, diesen herrlichen Tag in Athen erleben durfte.
Hans Pertsch, 3.November 2010

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