Im Wartezimmer

Arztbesuch

 

Das Wartezimmer eines Arztes ist für Menschen mit etwas satirischen Gedankengängen die reinste Goldgrube. Auf engstem Räume eingesperrt lassen die Menschen ihren Charakteren freien Auslauf.

Der Mann neben mir ist sichtlich nervös. Gerne hätte er seine Ruhe aber er findet sie nicht.

In wenigen Minuten verschleißt es fünf Zeitschriften ohne eine eigentlich wirklich zu lesen.

 

Wahrscheinlich stört ihn, genau wie mich, mein Nachbar auf der anderen Seite. Er ist wohl Hobbyarzt und kennt alle Krankheiten. Die meisten aus eigener Erfahrung. Jedem der es sehen will oder auch nicht, zeigt er wild gestikulierend wo seine vielen Schmerzherde liegen. Chef und Oberärzte aus halb Deutschland sind an der Heilung seiner Leiden bereits verzweifelt.

Unweit davon entfernt sitzt ein ebenfalls Wartezimmer erprobtes Ehepaar. Sie haben Kaffee und Kuchen mitgebracht, denn sie wissen, dass es hier immer etwas länger dauert. Ihre Sätze sind gespickt mit den Worten „so was gibt es nur in Pirmasens“.

 

Ein anderer Mann versucht frisch gebildet gleichnamige Zeitung weiterzureichen. Nach dem er keine Abnehmer findet wirft es sie vergrämt zu den anderen Lektüren. Er murmelt „bin erkältet, aber ich hab noch nicht die Seuche“.

Mutter und Tochter die in der Nähe sitzen scheinen in einer anderen Welt zu leben. Mit zwei Handys spielen sie gegeneinander. Es geht familiär ziemlich ruppig zu, anders wären die Schimpfwörter die sie sich zurufen, kaum erklärbar.

Meinen letzter Blick schenke ich einer jungen Dame die einen Brief mit Herzchen aus ihrer Handtasche zieht, ihn ließt um ihn dann mit dem Hauch einer Träne in den Augen, zu zerreißen.

 

Der Aufruf meines Namens kommt mir im Moment recht ungelegen. Das Wartezimmer hat 16 Plätze und ich bin noch nicht einmal zur Hälfte durch. Mal schauen was ich nun über den Arzt so alles herausfinde. Denn schließlich hat jeder irgendwo eine Leiche im Keller.

 

Hans Pertsch

November 2016

 

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