Alpin aber trotzdem gut laufbar
Wieder einmal hatte ich mir eine große Bergaufgabe gestellt. Den Marathon von
Liechtenstein. Wer glaubt, ein kleines Land wie Liechtenstein, hat nicht genug Berge für einen großen Bergmarathon, der täuscht sich. Sowohl die Höhenmeter, wie auch das Profil haben es in
sich.
Zugegeben, ein bisschen Bammel hatte ich schon in des Fürstentum Liechtenstein zu fahren, hatte unser Oberster Finanzchef Steinbrück mein Marathonziel doch jüngst
noch einen „Schurkenstaat“ bezeichnet.
Aber wohin auch blickte, und wie sehr ich mit Argusaugen meine Umgebung beobachtete, ich war nur von netten und freundlichen Menschen in einer berauschenden Landschaft umgeben.
Und hätte sich oben Genannter einmal mit der Geschichte, Kultur und wirtschaftlicher Struktur des Ministaates ernsthaft beschäftigt und nicht nur mit populistisch flinker Zunge Pauschalurteile
gefällt, wäre seine Aussage wohl anders ausgefallen.
Meine Frau und ich kamen jedenfalls in friedlicher Absicht nach Liechtenstein und werden das Land und seine Menschen auch in guter Erinnerung behalten.
Mit dem Wetter konnten wir jedoch nur bedingt Freundschaft schließen. Am Tag der An- und Abreisetag verwöhnte uns die Sonne mit Ihrem schönsten Lächeln. Das der Himmel auch andere Seiten hat, bekamen
wir am Tag des Laufes zu spüren.
Der Lauf
Ein Ton den ich um 6.00 Uhr in der Früh eigentlich nicht vertrage, reißt mich unsanft aus dem Schlaf. Mein Wecker ruft zum Marathon. Der erste Weg führt mich zum
Fenster.
Noch ist alles friedlich und nichts deutet darauf hin, was in den nächsten Stunden auf mich (und die vielen Anderen) zukommen wird.
Obwohl in unserem Hotel nur zwei Marathonläufer wohnen, hat es sich der Chef nicht nehmen lassen, uns ein Früh-Frühstück zu servieren.
Bereits bei der Busanfahrt zum Start verfinstert sich der Himmel und Regen und Sturm ziehen auf. So warten etwa 1000 Läufer und Begleiter in einem kleinen Raum eng zusammengepfercht auf den
Start.
Trotzdem herrscht eine überschwängliche Stimmung. Da ich mich an diesem Morgen topfit fühle und keinerlei Beschwerden habe, lasse ich mich davon anstecken. Zur Freude aller, hört der Regen mit dem
Startschuss auf. Das Läuferfeld ist locker aufgestellt, das übliche Gedränge am Start scheint es hier nicht zu geben.
Die ersten 10 Kilometer sind ganz flach und gehen weitgehend am Rhein entlang in Richtung Hauptstadt Vaduz. Mein Zeitplan von einer Stunde kann ich kaum einhalten. Nur ein paar Fotopausen können mein Temperament zügeln. Wenige Zuschauer haben sich in der Fußgängerzone eingefunden. In Anbetracht des Wolkenbruches der gerade hernieder geht, kann man es Ihnen nicht verdenken.
Hier bei Kilometer 10 ist auch die erste Zeitnahme. 70 Minuten ist die maximale Laufzeit. Wer diese nicht schafft wird aus dem Rennen genommen.
Wenige Meter nach der Innenstadt beginnt der erste Anstieg. 1000 Höhenmeter verteilt auf 11 Kilometer sind hier zu bewältigen. Von meiner guten Kondition überzeugt versuche ich zügig im Laufschritt
anzugehen, aber es bringt nicht viel, da viele Läufer bereits gehen und ein überholen auf den schmalen Wegen kaum möglich ist. Mit 2:50 Std. erreiche ich die Halbmarathonmarke und bin damit sehr
zufrieden.
Inzwischen regnet es in Strömen und die allgemeine Fröhlichkeit ist dem Schweigen gewichen. Jetzt sind nur noch Einzelkämpfer unterwegs.
Da die nächsten vier Kilometer nur abwärts gehen, kommt der Puls langsam wieder auf Normalschlag zurück.
Bei Kilometer 25 stehe ich vor der Entscheidung dem Schrecken ein Ende machen oder weiter zu laufen. Hier ist das Ziel des Halbmarathon-Pluslaufes. Als ich auf die Gabelung zulaufe gibt es mich
jedoch nur einen Abzweig. Marathon. Mit viel Beifall wird meine Entscheidung von den Zuschauern honoriert.
Über 3 Stunden bin ich nun unterwegs, zwei weitere und 46 Minuten bei einiger Kälte werden noch hinzukommen.
Die nächsten sieben Kilometer verlaufen ziemlich unspektakulär. Steigungen und
Gefällstrecken wechseln sich ab. Höhenmeter werden jedoch kaum dazu gewonnen. Obwohl ich es dieses Mal vermeiden wollte die restlichen Kilometer rückwärts zu zählen, kann ich es nicht lassen.
Trotzdem laufe ich mit viel Optimismus den nächsten großen Anstieg bei Kilometer 32 an. Hier verlässt die Stecke den bisher recht ordentlichen Wanderweg. Der Regen hat den Bergweg in eine Mischung
aus Matsch und Schlamm zu einen Wildbach verwandelt.
Die ca. 600 Läufer vor mir haben den Weg so ausgetreten, dass er teilweise nur noch sehr mühevoll passierbar ist. Immer wieder muss ich Pausen einlegen da Luft und
Kraft merklich schwinden.
Nach drei weiteren Kilometern ist meine letzte Euphorie verfolgen. Ich denke nur noch ans Ziel. Wie und wann ist mir in diesem Moment nur noch zweitrangig.
Das Fotografieren habe ich inzwischen eingestellt. Es ist mir nicht mehr möglich meine Finger zu bewegen. Nur mit viel Mühe schaffe ich es eine Salztablette gegen die
Wadenkämpfe aus meiner Tasche zu angeln.
Auf der Passhöhe bei knapp 1800 Meter werden die Läufer von einem „Notarzt“ streng in Augenschein genommen. Ich setze mein schönstes Lächeln auf und werde durchgewunken.
Die höhenmäßig größten Anstiege sind zwar überwunden aber die scheinbar kleinen Hügel die jetzt folgen erscheinen nun wie unüberwindbare Hürden.
Seit einigen Kilometer bin ich in einer Gruppe von 6 Personen.
Auf das Geschlecht achte ich schon lange nicht mehr, alles nur noch Leidensgenossen. Wir überholen uns laufend gegenseitig, aber keiner kann sich aus der Gruppe lösen. So trotteln wir dem allerletzten Anstieg entgegen.
Erst das Schild mit der Kilometerangabe 40 bringt die Wende. Der Abstieg ins Tal, wo der Zielbogen aufgebaut ist, wird eingeläutet. Meine Hochrechung sagt mir, dass mein Plan mit einer Zeit unter 6 Stunden nicht mehr aufgehen kann. Aber um ins Tal zu schlendern fühle ich mich jetzt wo es abwärts geht wieder viel zu fit. Wie durch ein Wunder sind meine Beine wieder ganz leicht und locker. Keine Schmerzen sind beim Abwärtslaufen zu spüren. Ich beobachte kurz meine Mitstreiter gebe das Kommando zum Sprint, aber keiner will mir folgen. So laufe ich mit 6.04 Std. alleine über die Ziellinie.
Noch nie fühlte ich mich nach einem Marathon im Ziel so fit wie nach dem heutigen, doch sehr anstrengendem Lauf. Für meine Hände traf das jedoch nicht zu. Völlig gefühllos war ich nicht mehr in der Lage meine Schuhe selbst zu öffnen.
Dies übernahm einer der vielen freundlichen Helfer die der Veranstalter rund um die Strecke postiert hatte. Wenn man bedenkt, dass nicht nur die Läufer sondern auch alle
Helfer den widrigen Bedingungen trotzen müssten, kann man deren freiwilliges Arrangement nur in höchsten Tönen loben.
Überhaupt kann man der Organisation nur großes Lob zollen. Perfekt organisierte
Streckenüberwachung und optimale Verpflegung zeichneten den LGT Marathon 2009 aus.
Nachbetrachtung
Ich würde jedem der sich zutraut einen Bergmarathon zu laufen diese Strecke sofort empfehlen; möglichst jedoch bei gutem Wetter.
Für eine persönliche Bewertung des Laufes ist noch zu früh, da ich auch nach 2 Tagen Abstand immer noch ziemlich aufgewühlt bin.
Machen wir uns nichts vor. Der Weg nach Malbun führt durchs Hochgebirge.
Leichtsinnige und Aberteuerer haben in diesen Höhenlagen nichts verloren. Auch ich habe mich bei diesem Lauf wieder von den recht milden Temperaturen im Rheintal zur leichten Kleidung verführen
lassen.
Durchgeweicht und unterkühlt reagiert der Körper anders wie unter Normalbedingungen. Oben am Berg hätte ich viel für eine Regenjacke und ein paar leichte Handschuhe gegeben. Nur dort gab es keine.
Trotz aller Wetterkapriolen wird der Liechtensteinmarathon garantiert ein Juwel unter meinem bisherigen Läufen sein.
Hans Pertsch 7.Juni 2009
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Liechtenstein