Vor dem Lauf
Schon lange Zeit vor dem ersten Marathonlauf stand für mich der Berliner Termin dick unterstrichen in meinem Terminkalender. Hier wollte ich unbedingt dabei
sein.
Mit der deutschen Hauptstadt verbinden mich besondere Erinnerungen.
1990, unmittelbar nach der „Wende“, entstand in meinem Hinterkopf der fixe Gedanken im „neuen“ Osten Deutschlands Filialen unseres Bilderrahmengeschäftes zu errichten.
Ostberlin und Erfurt standen zur Wahl. Dass diese Träume letztendlich nicht verwirklicht wurden, hatte viele Gründe und Ursachen. Heute betrachtet kann man diese
mit einem Marathonlauf vergleichen.
„Ich hatte mich überschätzt, meine Kräfte falsch eingeteilt, Mahnungen und Tipps überhört und bei der ersten größeren Steigung ermattet aufgegeben müssen.“ Das war 1990
2004 sollte es anders zugehen, dieses mal wollte ich mein Ziel in Berlin erreichen.
Und es sollte ein hartes Stück Arbeit werden. Ich habe mir wieder den Plan meines ersten Marathonlaufes zur Hand genommen. In 12 Wochen wollte ich die nötige Form erreichen. Für jede Woche wurden
durchschnittlich 60 Kilometer kalkuliert was schon in der Vorbereitung ¾ der Lebensdauer von neuen Laufschuhe entspricht.
Die Trainingseinheiten im Hochsommer haben Ihre eigenen Gesetze.
Bei 30 C im Schatten quält es sich bei Anstiegen im bergigen Pfälzer Wald besonders schön. Der Asphalt, mein bevorzugter Laufuntergrund, fängt bereits in den Morgenstunden an zu kochen . Man spürt
förmlich die Hitze bis in den Socken. Viele Straßen in meiner Heimatregion sind in einem erschreckenden Zustand und zeigen deutlich, dass wir hier wohl im Armenhaus Deutschlands leben.
Die Teilnahme bei verschiedenen Läufen zeigen aber erste Wirkung. Ich laufe meine bisher besten Zeiten ohne übermächtige Anstrengungen.
Zum ersten Mal seit ich laufe habe ich im August ernste gesundheitliche Probleme. Mein linkes Knie streikt. Alle ärztlichen Bemühungen scheinen nicht zu helfen. Entgegen aller Ratschläge trainiere
ich trotzdem hart weiter.
Mein Glaube und die Hoffnung die Schmerzen über kurz oder lang einfach weglaufen zu können, gehen wohl nicht auf. Die letzten Tage vor dem Lauf ziehen sich wie ein Kaugummi dahin.
Einen Rettungsanker warf mir per Zufall ein alter Freund in quasi letzter Minute zu. Während eines Gespräches erzählte er meiner Frau dass er ein Gerät vertreibe, das wie geschaffen dazu wäre, meine
Schmerzen in kürzester Zeit zumindest zu mildern, wenn nicht gar zu heilen.
Noch am gleichen Tag begann ich zusätzlich zu meiner bestehenden Therapie mit dieser Behandlung. 10 Tage mit je 3 Behandlungen a 30 Minuten nahmen mir die letzten noch verbleibenden Zeitreserven.
Aber der Zeitaufwand hatte sich gelohnt. Ich bin überzeugt, ohne diese zusätzlichen Behandlungen hätte ich den Marathon nicht durchgestanden. (Alle Informationen über die Behandlungsarten und
Wirkungsweise des Arthrotun-Gerätes können Sie hier nachlesen.)
Die Koffer sind gepackt, heute abend geht es mit dem City-Night-Line nach Berlin. Der Wetterbericht hat sich noch nicht richtig auf
das Laufwetter festgelegt, alles ist möglich.
Konditionell ist alles vorbereitet, nun muss ich nur noch laufen. Ich baue auf Ankommen, aber 42 km sind weit und es kann viel passieren. In Paris habe ich Läufer gesehen die bei KM 38 aufgegeben
haben, das ist hart für die Psyche des Läufers aber menschlich nachvollziehbar. Es gibt beim Marathon Momente da geht überhaupt nicht mehr.
Der Lauf
Eine Erkenntnis vorab, nichts ist miteinander vergleichbar. Nicht der erste Marathon mit dem Zweiten, nicht das Wetter, nicht die Strecke, nicht die Zuschauer und vor
allem nicht das eigene Befinden. Oder jeder Lauf beginnt bei km 0
Obwohl der Himmel sich nicht von seiner besten Seite zeigte schien ganz Berlin auf den Beinen zu sein. Trotz meiner späten Durchgangszeit, es war da schon knapp vor Mittag, durfte ich die
Trillerpfeifen und Trommeln in Steglitz oder die Tangamädchen vom Wilmersdorf in Ihrer ganzen Vielfalt sehen, hören und bestaunen.
Unzählige Berliner Mädchen und Jungs strecken den Läufern am Straßenrand ihre Hände zum abklatschen entgegen was allen Läufern viel Freude machte und zum Ende auch
moralisch half, die letzen Kräfte zu mobilisieren.
Abends hatte ich noch in der Berliner-U-Bahn ein Gespräch belauscht in dem die „Ossis“ abfällig als desinteressierte Lauf-Muffel hingestellt wurden. Nichts davon aber stimmte. Dem körperlichen Aus
auf den letzten Kilometer nahe, standen die „Ossis“ dicht an dicht gedrängt, genauso wie auf der anderen Seite der Stadt die „Wessis“, und peitschten auch noch die letzten Läufer frenetisch Richtung
Brandenburger Tor.
Am frühen Vormittag hatte ich unser Hotel am Kurfürstendamm verlassen und mich auf den Weg zum Start gemacht. Nach 32 km Lauf war ich wieder an der gleichen Stelle angekommen. Hinter mir lagen
unzählige geschichtsträchtige Zeugen der Vergangenheit und der Gegenwart.
Berlin dürfte der einzige Lauf der Welt sein, der so geballt die Orte der deutschen und der Weltgeschichte zeigt. Die Siegessäule, der Reichstag, der ehemalige Palast
der Republik und die Gedächtniskirche gehören ebenso dazu wie der Kurfürstendamm der neue Potsdamer Platz und das berühmte Schöneberger Rathaus.
Die Straße „Unter den Linden“ und das Brandenburger Tor sollten das Ende des 42195m langen Ausflugsprogramms sein.
Aber die letzen 10 km sind eben alles andere als ein Spaziergang. Die begeisterten Zuschauer, die Musikkapellen, die Attraktionen am Straßenrand werden immer mehr zu Nebensächlichkeiten. Es entsteht
ein Tunnelblick der nur noch Richtung Ziel zeigt. Der Kampf gegen das Aufgeben wird zur Hauptsache. Obwohl man Meter für Meter dem Brandenburger Tor näher kommt, entschwindet es scheinbar immer
weiter.
Viele dieser Kilometer sind nach dem Lauf nur noch schemenhaft im Hinterkopf,
Erinnerungen an Einzelheiten kommen erst viel später, nach und nach wieder zum Vorschein. 2 Tage später wird mancher Läufer wahrscheinlich immer noch nicht wissen, ob ich das Brandenburger Tor durch
die Mitte oder einen Flügel passiert habe.
Im Ziel registrierte ich zum ersten Mal den Regen, der irgendwann unterwegs eingesetzt haben musste. Unsicheren Ganges versucht man die Gedanken wieder zu ordnen. Es ist vollbracht, welch ein
glückliches Gefühl nicht mehr laufen zu müssen. Das Leiden ist zu Ende, die Schmerzen werden dankbar angenommen.
Geschafft !
Die Zeit ? Sie spielt im Moment eine so untergeordnete Rolle, dass ich sie nicht
einmal registriere. Erst später erfahre ich sie. 4 Stunden 47 Minuten – eigentlich 47 Minuten über meiner persönlichen Planung aber das nehme ich sehr gelassen hin.
Am Montag wird die TAZ einen „linken“ Artikel über masochistische Marathonläufer
schreiben, die entweder an 5 Tagen in der Woche von Ihrem Chef gemoppt, Ihrer Frau geschlagen oder einfach eine Abwechslung von tristen Eheleben brauchen.
Dabei ist der echte Marathonläufer eigentlich einer wie DU und Ich, nur eben ein bisschen verrückter.
Morgen werden Die „Helden“ von heute alle wieder Ihrer Arbeit nachgehen, Ihren
Muskelkater pflegen und mit berechtigtem Stolz von einer außergewöhnlichen Leistung erzählen.
Sie schenken allen Spöttern und Lästerern ein müdes Lächeln. Denn sie wissen, es ist ein wahres Geschenk, so etwas wie ein Marathon vollbringen zu dürfen. Sie denken an die vielen Menschen die Sie
beneiden und gerne mit Ihnen tauschen würden. Und Sie vergessen auch nicht, dass der Berlin-Marathon die Formel 1 der Leichtathletik ist und sie vergleichbar
Schulter an Schulter mit Michael Schuhmacher am Start gewesen sind.
Die Weisheiten danach
Kein vernünftiger Sportler geht mit Schmerzen an den Start oder versucht die Schmerzen mittels Medikamenten zu unterdrücken schon gar nicht bei einer Langzeitsportart wie dem Marathonlauf. Denn der
Schmerz ist eine natürliche Reaktion des Körpers, wenn sich eine Gefahr anzeigt. Und diese Meldung sollte man nie ignorieren und versuchen gegen den Schmerz anzulaufen.
Dieses mal ist es gut gegangen, das muss aber nicht zwangsläufig auch beim nächsten mal klappen.
Kein Lauf ist es Wert seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen.
Aber auch der Glaube kann Berge versetzen. Obwohl ich nicht gerade ein sehr gläubiger Mensch bin, hat mich eine Begegnung am frühen Morgen am Bahnhof Zoo nicht mehr losgelassen. In großen Lettern
stand auf einer Plakatwand, direkt vor meinen verschlafenen Augen zu lesen: „ WIR MÜSSEN MITEINANDER REDEN.“
Wie schon vor dem Lauf in Paris hatte ich dann am Abend in der Nikolaikirche gebetet, und um eine faire Chance für den Morgen gebeten.
Noch einen Patron habe ich mit nach Berlin genommen. Ein kleiner Teddybär sollte mich die 42 Kilometer durch die Stadt begleiten. Sogar eine Trinkflasche an meinem Gürtel musste dafür Platz machen.
Der Teddy ist ein Geschenk von meiner Tochter Karina und begleitet mich nahezu auf allen Stecken. Er ist genau wie ich resistent gegen Kälte, Regen und Hitze.
Völlig verknautscht zog ich ihn nach dem Lauf aus meiner engen Hosentasche, und wir genossen zusammen die ersten Momente des Triumphes.
Ein weiterer unentbehrlicher Begleiter von hat mich dagegen auf der Strecke alleine gelassen.
Mein „Einfrau-Fanclub.“
Im Trubel der vielen Menschen an der Strecke und getrieben von der Sorge um mich, hat mich meine Frau während des ganzen Laufes aus den Augen verloren und auch an allen vereinbarten Punkten nicht
getroffen.
Dabei gebührt gerade ihr der größte Dank. Ohne ihren Einsatz und ihr Verständnis wären all diese Kraftakte undenkbar.
Noch ein Glaube. Am Tag des Packens habe ich meine Schuhe getauscht. Plötzlich hatte ich geglaubt, den Grund meiner Knieprobleme zu kennen. Die Schuhe. So wanderten die alten Schuhe, die mich schon
die 42 km durch Paris begleitet hatten, wieder in den Koffer. Nur das Trikot war ganz neu. Auf der Rückseite strahlten drei gelbe Schmetterlinge meines Geschäftspartners Schmetterling-Reisen in den grauen Berliner Himmel.
Sie sollen mich auch begleiten, wenn es zum nächsten Marathon geht. Dann aber in bester Gesundheit und möglichst in einer Zeit die unter 4 Stunden liegen sollte.
Hans Pertsch September 2004