Die letzten Tage vor dem Lauf.
Mit einigen ziemlich harten Trainingsläufen in den Bergen des Schwarzwaldes geht meine Vorbereitung zum Extremberglauf an der Zugspitze zu Ende.
Seit einigen Wochen haben wir zuhause mit unserer Oma einen Pflegefall. Mein
Trainingsplan selbst hat das kaum durcheinander gebracht, aber seelisch kann man das nicht so einfach wegstecken. Die innere Ruhe ist durcheinandergebracht.
Gerade auf meinen einsamen Trainingstouren durch die Berge ist es schwer den Kopf frei zu bekommen. Daher bin ich auch sehr froh, dass es bald ernst wird.
Leider habe ich mein "kleines" Übergewicht wieder nicht losbekommen. Die süßen
Verlockungen haben wieder einmal die Oberhand behalten. Aber ich fühle mich trotzdem in ausgezeichneter Form. .
Ich habe mal nachgerechnet. Seit April diesen Jahres habe ich ca. 500 km am Berg trainiert und dabei ca.10.000 Höhenmeter überwunden. Nun ist die Luft zum trainieren raus. Ein bisschen Krafttraining
und mediale Vorbereitung bestimmen die letzten Tage. Da es in unserem Geschäft zur Zeit sehr ruhig zugeht, kann ich mich weitgehend stressfrei auf "meinen Urlaub" vorbereiten.
Die Anreise
Wieder einmal nicht auf die Frau gehört, und schon verläuft die Anreise chaotisch. Aus den von mir im Schnellverfahren errechneten 5 Stunden Anfahrt werden locker über zweieinhalb Stunden mehr.
Mein Weg durch die Dörfer des Allgäu wird zu einem nervenaufreibenden
Abenteuer. Zusammen mit tausenden Urlaubern geht es Stoßstange an Stoßstange Richtung Süden. Hätte ich doch nur die Route über München gewählt.
In den Straßen von Garmisch-Partenkirchen herrscht Totenstille. Drückende Temperaturen von 35° machen den Menschen zu
schaffen. Bereits seit dem frühen Morgen werden auf allen Rundfunkkanälen schwere Unwetter in Bayern vorhergesagt. Beim Abholen der Startunterlagen in Ehrwald macht sich bereits der Himmel zu, und
wir befürchten Schlimmstes.
Der Lauf
Es hat in der Nacht wie aus Kübeln gegossen, aber das große Unwetter ist in unserer Region ausgeblieben. Die Zugspitze scheint heute morgen verschwunden zu sein, denn sie ist durch dichte Wolken
eingehüllt.
Zum ersten Mal bin ich heute mit einem kleinen Rucksack gelaufen in dem außer einem Wassersack alle möglichen Dinge waren, die man in "Bergnot" so benötigt. Im nachhinein betrachtet war das eine
nicht sinnvolle Gewichtsbelastung.
Zusammen mit meinem "Übergewicht" schleppte ich mindestens 5kg zuviel dem Gipfel entgegen.
Am Schweigen meiner Frau spürte ich, dass Sie kurz vor dem Start mindestens genauso angespannt war wie ich.
„Jetzt nur kein unnötiges Zwiegespräch mehr“, dachte ich. In den nächsten Stunden brauchte ich einen freien Kopf. Man glaubt es kaum, aber jede noch so kleine unnötige Belastung blockiert das Denken
an das Wesentliche, und das heißt im Moment, Gipfelankunft.
Trotz der vielen Menschen kam man sich im Startbereich wie an einem Stammtisch vor. Jeder schien hier jeden zu kennen. Es fielen Namen von Bergen und Pässen die ich zwar aus der Geografie kenne, mir
aber als Läufe große Unbekannte waren.
Auch an der Auffälligkeit vieler extrem schlanker Menschen fühlte ich mich ein wenig fremd.
Der Startschuss holte mich wieder aus den Träumen zurück. Ruckzuck trennte sich nach den ersten Steigungen die Spreu vom Weizen.
Ich hatte mir vorgenommen nur nicht zu schnell anzugehen. Bereits nach den ersten beiden Kilometern war mir aber klar, dass es gar nicht anders ging wie sehr langsam zu laufen. Zu steil war bereits
der erste Anstieg zur Ehrwalder Alm.
Erstaunlicherweise war ich trotzdem genau in der geplanten Zeit von 45 Minuten dort angekommen. Wenn es Humanität bei diesem Lauf gegeben hatte, dann war sie bei der Steigung auf dem nun
anstehenden Abschnitt hin zur Hochfeldern Alm zu spüren. Aber die Luft wurde nun spürbar dünner. Seit dem Start in Ehrwald lagen inzwischen bereits 700 Höhenmeter hinter mir.
Gleich hinter der Verpflegungsstelle Hochfeldern Alm war aber Schluss mit lustig.
Vom dort endenden Weg ging es auf verschlammten, glatten und rutschigen Pfaden in sehr steilen Passagen zum Brandjoch in 2110 m Höhe. Die 500 Läufer vor mir hatten die schmalen Pfade derartig aufgewühlt und zertrampelt, dass es zeitweise auf einen Vorwärtsschritt zwei Rückwärtsschritte gab.
Mancher Läufer hatte seine Kleidung so zugerichtet, als ob er gerade von einer
Schlammschlacht nach Hause gekommen wäre.
Als schönstes Stück der Strecke bezeichnen viele Läufer den nun folgenden Weg zur Knorrhütte, die wieder auf deutschem Gebiet liegt. Gefälle und Steigungen halten sich hier die Waage. Das Gatterl ist die Eintrittstür nach Deutschland. An diesem Anstieg muss eine Stufe von nahezu einem Meter per Seil überwunden werden. Wohl dem der noch die Kraft dazu hat.
Auf den letzten Kilometern hatte sich still und heimlich die Sonne blicken lassen, was die Farben der Landschaft in ein ganz anders Licht setzte. Die Endorphinen in meinem Körper schienen geradezu auszuströmen. Urplötzlich bekam ich die zweite Luft, und es lief wieder wie geschmiert. Aber Petrus auf der deutschen Seite war den Läufern nicht wohlgesonnen.
Dichter Nebel hüllte die Berge wieder ein. Durch eine triste Geröllwüste jonglierte ich meinen Körper von Stein zu Stein Richtung Knorrhütte.
Inzwischen hatte sich unter den Läufern herumgesprochen, dass der Lauf bereits auf der Sonnalpin enden würde. Veranstalter und Bergwacht hatten beschlossen den letzten Steilanstieg zur Zugspitze aus
Sicherheitsgründen zu sperren.
So wurde bereits an der Knorrhütte zum letzten Aufstieg geblasen. Knapp 550 Höhenmeter waren noch einmal zu bewältigen. Nun merkte ich ein weiteres Mal, dass mein Bergtraining nicht ganz umsonst
war.
Mehrere Läufer vor mir kapitulierten in den brutalen Passagen dieses Berges und ließen mich vorbeiziehen. Gab es vorher immer wieder lustige Unterhaltungen, waren die Sätze jetzt so karg wie die
Landschaft.
Als der eisige Wind so richtig mächtig über die Schneefelder blies und mir die Finger mitten im Sommer beinahe abfielen, überfiel mich zum ersten Mal an diesem Tage so ein Gedanke, „ für was macht du
alter Esel das Alles“. Eine Antwort habe ich nicht gefunden.
Der Zieleinlauf war eher würdelos. Keine Zuschauer, keine Kuhglocken keine Lautsprecher.
Die unfreundliche Witterung hatte wohl den Berglauffans die Stimmung verdorben.
Nachbetrachtung
Wie viele andere Läufer war ich glücklich über die Verkürzung der Strecke. Die eisige Kälte hatte mir auch die Lust an einem privaten Aufstieg zum Gipfel genommen. Das trockene T-Shirt aus meinem
Rucksack war mir viel lieber und wie Balsam auf meinen Körper.
Später auf dem Plateau der Zugspitze, dass ich mit der Bergbahn erklommen hatte, überkam mich dann doch ein bisschen Wehmut. Einem gekappten Lauf fehlt einfach die Vollendung.
Also heißt es, irgendwann wiederkommen.
Meine Zeit von 3:45 Stunden sehe ich aus verschiedenen Blickwinkeln.
Die nüchterne Betrachtung zeigt mir, dass sich viele, viele Läufer vor mir eingereiht haben, und nur eine geringe Zahl langsamer war als ich.
Die positive Sicht sieht aber ganz anders aus. Ich durfte mich mit Läufern messen, die in der Mehrzahl nicht nur hervorragende Bergläufer sondern von der Konstellation auch haushoch überlegen
waren.
Ich habe aber nicht nur durchgehalten, sondern mitgemischt und am Ende sogar noch mit einem Lächeln den Lauf beendet.
Es war ein Erlebnis der besonderen Art. Der Mensch ist zu sehr vielem fähig ist, wenn er nur will.
Hans Pertsch 24.7.2007
Nachtrag vom 20.7.2008 Tragödie auf der Zugspitze
Ich bin dünnhäutig geworden. Zumindest was Bergläufe betrifft.
Obwohl ich bei dieser Sportart immer wieder ganz klar meine eigenen Grenzen aufgezeigt bekomme, fühle ich mich in diesen Gefilden besonders wohl.
Seit Sonntag hat aber auch für mich die "heile" Welt des Berglaufes böse Schrammen abbekommen.
Hatte ich bei meinem Lauf im vergangenen Jahr großes Glück nicht auf den letzten
Kilometern von extremen Wetterkapriolen überrascht zu werden, denn die Gegebenheiten waren ziemlich ähnlich.
Trotzdem waren es gespenstigste Momente, wenn der Vordermann nur wenige Schritte entfernt und doch unerreichbar ist, der lahmende Mitläufer achtlos überholt wird und man klitschnass und völlig
ausgekühlt nur noch seine eigene Haut retten will.
Der Lauf ist kein Abenteuer, der Lauf ist eine Herausforderung an die eigene
Leistungsfähigkeit. Kein Läufer wird bei gutem oder schlechtem Wetter das Ziel erreichen, der sich nicht intensiv geistig und körperlich richtig vorbereitet hat.
Warnungen und Hinweise zum professionellen Verhalten gibt es im Vorfeld zur Genüge.
So irritiert und ärgert es mich gewaltig, dass nach der Katastrophe auf der Zugspitze sich nahezu jedermann berufen fühlt, seinen "Senf" dazu abzugeben.
Ehemalige Marathonläufer, die oft Bergläufe nur aus Erzählungen kennen, ziehen paradoxe Vergleiche mit Citymarathons.
Der Bayerische Rundfunk vergleicht die Bergläufer mit einer berauschten Masse die unfähig ist, Gefahren zu erkennen und Fokus-Online titelt „Ärmellos auf die Zugspitze- und hirnlos! “
Foren die nichts, aber auch gar nichts mit dem Berglauf zu tun haben beschimpfen eine ganze Sportlergattung im Kollektiv als Deppen, Narren und psychisch Kranke.
Bergsteiger Legende Reinhold Messner setzt sogar noch einen drauf. Für ihn waren die Bergläufer Lemminge die in eine Dummheit gelaufen sind.
Ein Berg sei "keine Attrappe oder eine Kletterwand in der Turnhalle", so Messner zu stern.de.
"Der Berg ist zu etwas missbraucht worden, wozu er nicht geschaffen ist."
Keiner dieser "Fachleute" hat sich in seiner Pietätlosigkeit wahrscheinlich mit der
Läuferbiografie der beiden Verunglückten ernsthaft beschäftigt.
Denn beide galten nach Kollegenaussagen als besonnen, sportlich und waren am Renntag topfit. Keine blutrünstigen Heißsporne oder Sonntagsjogger die so gut ins Klischee der Schnellredner gepasst
hätten.
Absage, Abbruch oder Streckenverkürzung sind Fragen die ich als Außenstehender
fairerweise nicht beurteilen kann und will. Im Nachhinein hätte es wahrscheinlich jeder anders gemacht. Der moralischen Verantwortung wird sich der Veranstalter nicht entziehen können.
In Trauer um die beiden toten Laufkollegen schließe ich für mich dieses Thema. Ob ich die Zugspitze auf diesem Wege noch einmal erreichen werde, kann ich heute noch nicht beantworten.
Hans Pertsch 20.Juli 2008