... ich will, ich kann - mein Veganversuch

Wie eine kleine Bombe platzte ich in meine Umgebung "Ab Montag werde ich für einen Monat vegan essen", erzähle ich so beiläufig ein paar ausgesuchten Freunden und Familienangehörigen. Kaum einer fragt warum, aber alle haben entweder Mitleid mit mir, oder bombardieren mich mit sinnigen oder unsinnigen Sprüchen.
"Das hälts Du nie durch" oder "meinst Du, dass dadurch ein Schwein weniger gemästet wird" und als Hammer höre ich "in Deinem Alter sollte man vernünftiger sein".
Schluss mit der Debatte, ich will, ich kann.

 

Mein erstes Problem ist viel größer als erwartet.  Ich möchte mein Projekt nach der Lehre eines echten Veganbkoches durchziehen.
Die dort versprochene gigantische Gewichtsabnahme interessiert mich nur zweitrangig.  Trotzdem trage ich als Wunschziel acht Kilogramm ein.
Mehr begeistert mich das Versprechen, mein Wohlbefinden würde sich in kürzester Zeit merklich verbessern.

Um all diese Traumziele erreichen zu können,  muss ich aber vorher Dinge einkaufen, deren Namen ich bis dato noch nicht einmal  kannte. Zusammen mit meiner Frau mache ich mich auf die anstrengende Suche.  Bereits nach wenigen Minuten ist meine Begeisterung zum ersten mal auf einem Tiefpunkt angelangt.
Oh wie weit liegen Hochglanzfotos und Einkaufslisten doch auseinander. Jetzt nur nicht resignieren.  Leise und kaum hörbar flüstert mir meine Frau ins Ohr "wir schaffen das"
Sie wird mich kochtechnisch und auch beim Einkaufen in den nächsten 30 Tage begleiten.

 

Der Startschuss ist gefallen.  Mit markigen Sprüchen versucht der Veganguru die "Neuen" gleich richtig heiß zu machen.  Flott geschrieben und leicht verständlich ruft er allen in seinem Buch zu: "Diskutiere nicht mit dir."
Das heißt,  ab sofort gibt es keinerlei tierischen Produkte mehr. Auch Milch und Eier sind tabu. Zucker und Weißmehl stehen ebenfalls ganz oben auf der Streichliste. Und das alles, ohne wenn und aber.

 

Die ersten 24 Stunden liegen hinter mir.  Es war ein schwerer Tag. Nicht das Essen war das große Problem,  nein,  das Gesamtpaket hatte heute nicht gestimmt.  Haribo und Co. hängen wie Klettern an mir und haben die Denkhälfte meines Gehirns zum Generalstreik aufgerufen. Wohl eine gemeine Rache für den Zuckerentzug. Rosenmontagssturm und jede Menge Regen verordneten mir Hausarrest und ziehen mich moralisch vollkommen in den Keller.

 

Die Frage, ob die Zeit schnell oder langsam vergeht, kann ich im Moment nur mit langsam beantworten. Kaffee steht bei Veganern zwar nicht auf der schwarzen Liste, sollte aber gemieden werden. Ich schaffe das unter Tag nahezu problemlos, nur zum Frühstück brauche ich eine Tasse der braunen Lustbrühe. Ansonsten komme ich nicht in Schwung. Beim veganen Jogurt im Müsli muss ich mir vorher immer gut zureden, nur so klappt es mit dem Verzehr.

 

Das Mittagessen lasse ich probeweise erstmals ausfallen, dafür gönne ich mir am Nachmittag einen leckeren Shakes. Der ist meist so gut, dass ich schon beinahe süchtig danach bin. Ein bisschen komplizierter wird es beim Abendessen. Seit Jahrzehnten gehört ein gutes Stück Käse und eine knackige Scheibe Brot bei mir auf den Tisch. Und wenn ich ganz ehrlich bin, ich traure der guten alten Zeit schon ziemlich nach.

 

Ich hätte nie geglaubt, dass Wochenmärkte das Schlimmste sind was Menschen passieren kann, die noch nicht ganz auf der veganen Welle angekommen sind. Denn nicht die Vielzahl von Obst und Gemüse dominieren Auge und Nase, es sind die Gerüche der Bratwurstbuden, die ganz klar den Markt beherrschen. Sie lassen mich alles andere als kalt, aber ich widerstehe mit eisernem Willen.

 

Heute am 8.Tag ist die erste Stunde der Wahrheit.  Gut zwei Kilogramm zeigt die Waage tatsächlich weniger als vor einer Woche.  Gerne würde ich einen Freudensprung machen,  aber leider hat mich eine Erkältung heute etwas ruhiger gemacht.  Das heutige Abendessen,  Paprika mit "falschem Käse" überbacken war hammergut. Respekt vor meiner Köchin, die inzwischen den Bogen raus hat, und die Verbindungen der einzelnen Zutaten schon nahezu perfekt beherrscht.

 

Die Zeit zieht weiter und der elfte Tag liegt hinter mir. Das Wetter ist schlecht, sodass meine sportlichen Ambitionen meist irgendwo innen stattfinden. Dies entspricht überhaupt nicht meinen Vorstellungen und entsprechend ist meine Laune. Auch nach einem Drittel der Challenge bin ich noch meilenweit von der versprochenen Lebensleichtigkeit entfernt. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich bereits in meinem "vorherigen Leben" nicht gerade der große Ernährungssünder war.

 

Bereits seit Beginn meines veganen Testmonats gönne ich mir nur etwa die Hälfte der empfohlenen Speisen. Es bereitet mir keine Probleme das  Mittagessen komplett ausfallen zu lassen und bei den veranschlagten riesigen Portionen am Abend, begnüge ich mich meist mit der Hälfte. Mit etwas Einfallsreichtum gibt es aber keine Probleme ein abwechslungsreiches  und schmackhaftes Essen hinzubekommen.

 

Nachdem die Hälfte der Challenge vorbei ist, wird es Zeit sich mal mit  der veganen Ernährung und den Zielen der Veganer zu beschäftigen.

Grundsätzlich halte ich es für ein großes Privileg, überhaupt über Ernährungsformen nachdenken zu dürfen. Denn Millionen von Menschen auf unserer Erde leben von der Hand in den Mund und haben keines unserer Luxusprobleme.

 

Die Vegan Bewegung ist keine Modeerscheinung oder gar eine neue Form der Essenskultur.

Bereits 1944 wurde in England die Vegan Society gegründet. 

Ich habe mal meinen Freund Andeas, der seit Jahren ein überzeugter Veganer ist, gefragt warum man Veganer wird. Sein Beispiel dürfte sich mit den Grundgedanken vieler Veganer decken. Denn ein Großteil der Veganer pflegt aus ethischen und nicht aus gesundheitlichen Gründen diesen Lebensstiel.

Massentierhaltung, Fleischskandale und ausufernde Überfischung der Meere kann man nur mit Verzicht dieser Produkte bekämpfen, so seine Lehre. Hunger und Leiden kennt er auch ohne Fleischverzehr nicht. Da es keine Pflicht und auch keine heilige Schrift gibt die ihm befiehlt, stellt er seine Gerichte nach dem Prinzip zusammen „alles was schmeckt aber kein tierisches Produkt ist, kommt auf den Teller.“ Klappt laut Andreas übrigens auch perfekt mit Backwaren. So backt er ohne Kuhmilch und Eier erfolgreich Kuchen und Torten. Seine selbst gefertigten Produkte sind bei unserem jährlichen Felsenfest die heiß begehrtesten Spezialitäten. Andreas ist ein topfiter Läufer für den eine Rückkehr zum „Fleischfresser“ nicht zu erwarten ist.

Nicht selbstverständlich ist, dass meine Frau auch am 17. Tag immer noch aufopferungsvoll für mich in der Küche steht. Gestern Abend gab es einen Gemüsetopf der in keinem Kochbuch zu finden ist. Der war so gut und perfekt,  dass ich zum ersten Mal sogar Nachschlag genommen hätte. Da ich aber freiwillig alle Portionen minimiert habe, blieb es beim Wunschgedanken. Gestern dagegen musste ich feststellen,  dass meine Freundschaft zum Zucchini doch nicht so ausgeprägt ist wie angenommen. Wir haben vereinbart,  uns mal ein paar Tage nicht mehr zu sehen.

 

Vor dem Tag 20 habe ich mich ein bisschen gefürchtet.  Meine Tochter feiert Ihren 40 Geburtstag mit einem Großaufgebot an "Fleischfressern". Und das sehr wörtlich genommen. Ich sehe Teller die überlaufen und spüre die Angst mancher, am Ende des Abends zu kurz gekommen zu sein.  Mich, mit meinem Salatteller erscheine den Meisten zu uninteressant,  was mich gottseidank um viele Erklärungen bringt. So mancher Spötter würde mich noch gerne beim sonst heißgeliebten Nachtisch wanken sehen, aber ich bleibe hart wie Kruppstahl.

 

Die letzte Woche ist angebrochen und ich freue mich einerseits auf das Ende aber ich kann mir auch vorstellen,  noch ein bisschen weiter zu machen.  Warten wir mal ab.
Gestern hat meine Frau ein Vollkorn- Dinkelbrot gebacken.  Schmeckt sehr gut, nur ein Stückchen Wurst oder Käse könnte es noch verfeinern. Es gibt zwar Ersatzprodukte für Beides, aber hier steht die Zutatenliste die der Originale nicht nach. Und das steht vollkommen im Widerspruch zum Konzept dieser Challenge.

 

Tag 31 oder besser gesagt ich befinde mich bereits in der Verlängerung. Nach jedem bisherigen Abnehmversuch zählte ich die Stunden bis zum Countdown. Dieses mal ist es anders. Der Appetit nach Wurst oder Fleisch ist nicht  mehr da. Auch Schokolade oder Kuchen stehen momentan nicht auf meiner Wunschliste. Warum also, soll ich wieder abrupt in die alten Muster zurückfallen. Ich bin richtig stolz auf mich. Nicht nur weil ich die 30 Tage geschafft habe, sondern vor allem darauf, dass ich noch fähig und bereit bin, über Ernährung, Massentierhaltung und Alternativen nachzudenken.  Übrigens, die Waage zeigt exakt 8 Kilogramm weniger an, was mich auch sehr zufrieden stellt.

 

Unglaublich, Tag 50 geht zu Ende und ich bin 11 Kilogramm leichter. Während der ersten 30 Tage meiner Challenge habe ich kein einziges Mal gesündigt. Nun lebe ich locker Vegan und meide alles was im Alltag möglich ist. Fleisch lehne ich nicht grundsätzlich ab, aber zur Zeit esse ich keines. Süßes gibt es nur in Minimengen. Wenn die Sucht ruft gibt es ein bisschen Studentenfutter.

 

Ein Veganer werde ich trotzdem nicht werden. Seit vielen Jahren wird bei uns zuhause sehr bewusst auf Qualität beim Lebensmitteleinkauf Wert gelegt. Auch kann ich ethisch und moralisch gut damit leben gelegentlich Fleisch und Fischprodukte zu essen. Ganz sicher werde ich Fertigprodukte jeglicher Art noch mehr als bisher aus dem Einkaufswagen verbannen. Die letzten 4 Wochen haben gezeigt, dass es sogar im Winter relativ leicht ist, immer frische Produkte einzukaufen und zu verarbeiten. Wo ein Wille ist ist auch ein Weg. 

 

Egal in welcher Ernährungsform man auch lebt, Fakt ist: Ein Großteil der Deutschen ist zu dick und ernährt sich grundlegend falsch. Wir essen ohne ernsthaft nachzudenken viel zu viel tierische Produkte wie Wurst und Fleisch. Und das ist nachweislich ungesund.

Vom Kleinkind bis zum Kreis hauen wir Zuckermengen in uns hinein, als gebe es für uns kein Morgen mehr. Wir interessieren uns nicht für Warnhinweise auf Krebsrisiken und nehmen Zuckererkrankungen erst wahr wenn wir auf die tägliche Insulinspritze nicht mehr verzichten können.

Ein Hungerhaken fällt heute auf der Straße eher auf wie ein übergewichtiger Bär. Wir müssen nicht alle jetzt plötzlich Veganer oder Vegetarier werden, weil es „Lifestyle“ ist. Gesund essen und sich viel bewegen sollte auch für alle Eltern die in Vorbildpflicht stehen, eine Botschaft für die kommende Generation sein.

 

Hans Pertsch April 2016

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