Der Bär ist los
Damals, ich dürfte so fünf Jahre gewesen sein, hatte ich mein erstes Erlebnis mit einem Bären. Irgend ein Nachbar war seines Teddybären überdrüssig, und hatte ihn zum Sperrmüll gegeben. Auch wenn dem Bären ein Auge fehlte, spürte ich beim ersten Blickkontakt, dass wir zusammen gehören. Das ist übrigens bis heute so geblieben. Meine kindliche Neugierde war so groß, dass meine Mutter nicht anders konnte, als mir im Zoo den leiblichen großen Bruder meines Teddy zu zeigen. Der hatte genauso einen lieben Blick wie mein Stofftier, sodass ich die Geschichten vom großen und bösen Raubtier einfach nicht glauben konnte.
Nun bin ich seit ein paar Tagen in Österreich, und die dortigen Zeitungen überschlagen sich, dass in Tirol mindestens einer der sogenannten Beutegreifer gesichtet wurde. Ob es ein kurzer Freundschaftsbesuch oder ein Bär auf Suche nach einer neuen Bleibe ist, darüber sind die Bärenkenner aus unserem Nachbarland nicht ganz einig. Ihre Tipps an die Bevölkerung ähneln denen, die bei uns glauben, das Verhalten von Wölfen zu kennen. So sind die Ratschläge, keine Selfis mit dem Bären zu machen und sich auch auf kein Wettrennen mit dem großen Teddy einzulassen, wohl eher an die Mutigen und Schnellen der Alpenregion gerichtet. Und auch der Tipp, Pilze nicht im gleichen Waldstück wie der Bär zu suchen, hört sich zwar logisch an, hilft aber nur. wenn der pelzige Konkurrent auch seine Reviergrenzen einhält.
Und trifft einen das Schicksal doch, dem Bären tief in die Augen schauen zu müssen, sollte man keine Angst zeigen und mit dem Bären möglichst leise reden. Also ich würde ihm wahrscheinlich von meinem einäugigen Sperrmüllteddy erzählen, der sich immer riesig freut, wenn ich heil nach Hause komme.
Hans Pertsch Juni 2025