Kurz nach der Wende 1989 hatte es mich gepackt. Ich wollte mein (unternehmerisches) Glück mit einem Bilderrahmengeschäft auch im „neuen“ Deutschland suchen.
Mit großen Augen lernte ich diese neue Welt kennen. Mancherorts schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Wie in meinen Kindertagen der 60er Jahre waren ganze Straßenzüge noch im Zustand der Nachkriegszeit.
Die wenigen nutzbaren Geschäfte in Berlins Neuer Mitte die ich in Augenschein genommen hatte, waren bereits in den Händen von cleveren „Wessis“.
Schnell musste ich erkennen, dass für das Vorhaben mein Geldbeutel viel zu schmal war.
Schon beinahe am aufgeben, bot das Bezirksamt Berlin-Mitte völlig überraschend dann doch ein Ladengeschäft in der Auguststraße an. Die Straße und ihre Umgebung war aber alles andere wie ein Einkaufsparadies.
In mir kam panische Angst vor dieser Aufgabe auf.
Die gigantischen Umbaumaßnahmen mit einer wackelige Finanzierung im Rücken und die extremen Kosten der neu entstehenden Weltstadt vor Augen ließen mich nach einigen schlaflosen Nächten resignieren.
Heute gehört das Viertel um die Auguststraße zu den Perlen Berlins. Abgefahrene Kneipen,
exklusive Boutiquen und zahlreiche renommierte Galerien sowie das Ausstellungszentrum KW (Kunst-Werke) haben inzwischen hier ihre Heimat gefunden. Alle zwei Jahre stellt die Auguststraße das Zentrum der Biennale für zeitgenössische Kunst dar.
Und obwohl ich heute mehr denn je hinter meiner damalige Entscheidung stehe juckt mich bei jedem Berlinbesuch immer noch brennend die Frage „hättest du es hier packen können“.
Wäre es heute schöner die Schiffe an der Spree zu beobachten wie im Pirmasenser Blümelstal mit den Büffeln zu plaudern?
Können die Treppen des Neufferparks im ruhigen Herzen der rheinland-pfälzischen Schuhmetropole läuferisch reizvoller sein wie ein Sprint auf der weltberühmten Straße des 17. Juni?
Schmeckt der Kaffee in Berlin unter den Linden ebenso gut wie in der Pirmasenser Fußgängerzone wenn man in einer großen Menschentraube lebt aber völlig anonym seinem Dasein tristest?
Aber vielleicht sind es gerade die Fragen ohne Antworten die das Leben und den Alltag so würzen, dass auch das Morgen noch so viele Reize hat.
Hans Pertsch
1990 bis 2015, geschrieben, geändert, gelöscht und wieder geschrieben.
Berlin war einfach nicht aus dem Kopf zu bekommen. Und zudem schien die Zeit reif, die Erfolge von Pirmasens zu kopieren. Ein Unternehmer aus Zweibrücken machte mir die neu eröffnete Hallplatzgalerie schmackhaft.
Nicht ohne zu warnen, daß das Zweibrücker Publikum nicht unbedingt Freunde der Pirmasenser Unternehmer sind. So zogen wir 1992 zwar nicht in die Hallplatzgalerie, dafür aber in die Zweibrücker Fußgängerzone ein.
Die Warnung des Kollegen war nicht aus der Luft gegriffen. Egal was wir anstellten, unsere Ideen zündeten nicht. Bis uns der Zufall in die Konzertkartenbranche führte.
Quasi über Nacht eroberten wir zumindest die Herzen aller Musikliebhaber.
Wir wagten alles, und wurden hinter Ludwigshafen die zweite Eventim Vorverkaufstelle in der Pfalz. Selbst in Kaiserslautern und Saarbrücken gab es zu diesem Zeitpunkt nichts vergleichbares..
Mitten in unsere größten Erfolgsphase platzte kurz vor Weihnachten 1993 ein Jahrhunderthochwasser. Der Schaden betrug geschätzte 40.000 DM, die von der Versicherung als Elementarschaden nicht abgedeckt war.
Im September 1095 zogen wir die Notbremse. Trotz glänzender Umsätze fraßen Raum, Personal und Systemgebühren jeglichen Gewinn auf.
Aber die Idee des Reisen und Kartenservices war für die damalige Zeit brilliant. Sie sollte unser Geschäft in Pirmasens künftig in ganz neue Bahnen lenken.
Mit reichlich Abstand geschrieben.
... und dann war da noch Erfurt
Nach dem das Abenteuer Berlin gescheitert war, kam Post aus Mainz. Dort hatte ich vor längerer Zeit angefragt, ob man mir nicht helfen könne, in Berlin ein vernüftiges Ladenlokal zu finden. Längst hatte ich mein Schreiben vergessen, als ein Brief aus der Landeshauptstadt bei mir ankam. Im Auftrag von Minister Brüderle schrieb mir der damalige Staatssekrätär, warum ich den so weit weg ins laute Berlin will. Rheinland Pfalz sei schließlich das Partnerland von Thüringen, und da wäre doch Erfurt das nahe liegende.
Bereits Tage später saß ich im Auto gen Osten. Die Innenstadt vor Erfurt war ein kleiner Schock. Wer heute Erfurt sieht, glaubt meinen Worten nicht. Es gab so gut wie keine Ladengeschäfte die an unsere Normaliät herankamen. Anders die Preisvorstellungen und vor allem die Übernahmemodalitäten falls man in ein bestehendes Geschäft einsteigt.
Ein Ebenbeispiel von dem was mir in Berlin wiederfahren ist. Auch wenn mir eine Pirmasesner Bank, nach vorzeigen des Schreibens aus Mainz, wohlwollende Hilfe zusagte, begrub ich nach wenigen Stunden die Idee vom Erfurter Bilderrahmenland.
In Erfurt hatte ich über einer alteingesessenen Bäckerei ein Zimmer bezogen. Als ich morgens dem Bäckermeister von meinen Plänen erzählte, schüttelte er nur den Kopf. Die "Westhaie" überbieten sich bei uns und zahlen jeden Preis für Häuser und Läden. Behalt dein Geld, hier wirst du nicht glücklich, gab er mir als Rat auf den Heimweg mit. Und die beste Brezel der Stadt, wie der Bäcker lächelnd meinte, gab es gratis noch dazu.
Jahre später war das DDR Erfurt nicht mehr wieder zu erkennen. Den Laden, für den ich mich einst interessierte, war nur noch durch die Hausnummer zu finden. Kein einziges Haus erinnerte noch an meinen ersten Besuch. Ein schicker Modeladen hatte meinen "fast Platz" in der City eingenommen.
2023, an einem grauen Novembertag geschrieben
Und zu guter Letzt, fast vergessen
Auch im französischen Bitche hätten wir beinahe einmal landen können. Durch einen Freund annimiert, haben wir uns einen Laden in der Innenstadt angeschaut. Dabei erfuhren wir, dass es im Nachbarland wohl üblich ist, beim Vormieter eine Abstandszahlung für das vorhandene Inventat zu zahlen, auch wenn man es nicht benötigt. Da wir das nicht wollten, hatte sich die Sache schnell erledigt.